Im Land wo die Zitronen blühn

„Warum wollt ihr im Winter nach Italien?“ bekommen wir von manch einem zu hören, der uns auf der Hinfahrt mitnimmt. Auch wir haben Zweifel: Ist es nun Winter oder Sommer? Entbehrung oder Erholung?

So gut wie jeden Tag steigen wir gut 1000 Höhenmeter auf, um am Nachmittag wieder ins nächste Tal herunter zu laufen. Immer wieder stoßen wir auf kleine Dörfer, in denen sich seit Jahrzehnten nichts verändert zu haben scheint. Aus seltsam ineinandergebauten Häusern schauen alte Mütterchen, stets läd eine Bar – nicht nur uns – zum Verweilen ein und stets werden wir aufmerksam beobachtet, wenn wir uns am Dorfbrunnen ausruhen. Warum wir schwer bepackt die unwegsamsten Strecken laufen, versteht hier niemand.

Entgegen unseren Erwartungen ist das Land nicht karg und trocken, zumindest so früh im Jahr grünt und blüht es allerorten. Viele Wege haben sich gar entschlossen, lieber ein Bachlauf sein zu wollen. Während unseres Weges durch die Berge wandelt sich dabei die Landschaft ständig. Bald wird das üppige Grün abgelöst von Dornendickichten und Ginstersträuchern. Mal laufen wir auf grünen Wiesen, dann wieder an steinigen Abhängen entlang. Aber auch in den unwirtlichsten Tälern treffen wir immer wieder auf einzelne Bauern, mit denen wir ein paar Worte wechseln; immer wieder lockt ein Bach am Wegesrand, steigt uns der Duft von Rosmarin in die Nase; immer wieder laben wir uns an den Früchten von Orangen- und Zitronenbäumen.

Immer wieder verschwindet der Weg im Wald, müssen wir uns querfeldein durch teils hohen Schnee die steilen Hänge hinaufkämpfen. Die langen Abstiege auf der anderen Seite versüßen uns dann ausgedehnte Dornendickichte, die kaum zu umgehen sind. Doch schon bald sehen wir in der Ferne wieder das Meer aufblitzen! Eine andere Eigenheit dieses Landstriches kommt uns sehr zu gute: fast immer, wenn wir einen geschützten Platz für die Nacht suchen, finden wir irgendwo eine verlassene Hütte, die uns Obdach gewährt. Obwohl die Sonne noch recht früh untergeht, braucht uns die Dunkelheit nicht zu schrecken, da der Mond meist die Nacht erhellt.

Statt sanften Pfaden in schattigen Wäldern zu folgen, kämpfen wir uns nun den Hang hinunter und durch ein ausgetrocknetes Bachbett. Felix versenkt beim „Abstieg“ über einen großen Felsen sein Bein bis zum Knie in stinkendem Morast, schmettert die Gitarre gegen die Felswand und auch mir bleibt manche Rutschpartie über die glatten Steine nicht erspart. Müßig zu sagen, dass uns bald das Bachbett von einem Dornenvorhang versperrt wird und wir auf der anderen Talseite wieder auf die Höhe zurückklettern müssen. Nur mit mehr Glück als Verstand können wir uns spät am Abend am Strand in den Sand fallen lassen.

Doch dann genießen wir Sonne und Postkartenausblicke. Mal lädt uns ein ringsum von Klippen geschützter Strand zum Verweilen ein, dann wieder lagern wir in einem Pinienhain unterhalb der Ruine eines Wachturms an der Küste.

Anderntags finden wir in den Bergen Unterschlupf in einer kleinen Hütte in der Nähe eines Baches. So stört uns der scharfe Wind und das Wetterleuchten ringsum nicht weiter. Auch als es in der Nacht auf die Dachziegel prasselt und Donnerschläge den Boden erzittern lassen, trifft uns das nicht weiter. Erst als wir am Morgen durch die Tür auf eine dicht verschneite Landschaft blicken, wird uns das Ausmaß des nächtlichen Unwetters klar.

Ach ja: was wollten wir noch mal im Winter in Italien? Ein Schäfer, den wir auf einem verschneiten Berggipfel trafen, hat eine einfache Erklärung für unser absonderliches Verhalten: „per passione!“ – aus Leidenschaft.