Wasser und Steine…

Unter mir das Meer, umgeben von steilen felsigen Hängen. Irgendwo in der Nähe bewegen sich meine Gefährten am steinigen Strand entlang, auf der Suche nach trockenem Holz. Schon am zweiten Tag unserer Fahrt hat es uns an einen Fjord verschlagen, der ebenso gut das Ende der Welt sein könnte. Bis auf die kleine steinerne Hütte, die uns heute Schutz bietet, ist in weitem Umkreis keine Spur menschlichen Daseins zu sehen. Einige wenige Bäume krallen sich an seltenen, windgeschützten Stellen fest, während das Schwemmland am Ende des Fjords kaum mehr zu bieten hat als vereinzelte Grasflecken und die verstreuten Überreste steinerner Umfriedungen. Schwer vorstellbar, dass hier einmal Menschen dauerhaft gelebt haben.

Allzu schnell haben wir erfahren, dass längst nicht alles, was hier wie eine üppig grüne Wiese aussieht, bei näherem Begehen auch eine solche ist. Ganz im Gegenteil: Meist stehen wir bei jedem Schritt bis zu den Stiefelschäften im braunen, torfigen Wasser, während der fest geglaubte Boden auf seltsame Weise nach unten zu entschwinden scheint. Natürlich beschränkt sich das Wasser nicht darauf, den Boden zu durchtränken. Von jedem Hang – und davon gibt es hier wahrlich genug – stürzen kleine Bäche, ja ganze Ströme herab. Bald schon fragen wir uns, warum wir unsere Trinkflaschen mitschleppen; schnell verschwinden sie ungenutzt in den Tiefen der Rucksäcke.

Nun, es wäre beschönigend, wenn ich nur das Wasser erwähnte, das sich gesittet auf dem Boden fortbewegt. Gleich nachdem uns am ersten Tag ein freundlicher Schotte zu dem guten Wetter beglückwünscht, das uns gegeben scheint, verschwindet die Sonne klammheimlich hinter immer dickeren Wolken, um in den nächsten Tagen nicht mehr aufzutauchen. Stattdessen erleben wir jeden Tag aufs Neue, wie tief Regenwolken sinken können. Schlussendlich müssen wir kaum noch emporsteigen: Schon auf 300 m Höhe stehen wir inmitten einer endlosen grauen Suppe, die unsere Welt auf einen Umkreis von wenigen Metern zusammenschrumpfen lässt, während der Wind uns die Feuchtigkeit ins Gesicht treibt.

Für uns treten mehr und mehr die elementarsten Notwendigkeiten in den Vordergrund. Tagesetappen werden an der nächsten trockenen Unterkunft ausgerichtet, nicht an dem, was vernünftigerweise machbar wäre. Mahlzeiten müssen nur noch nahrhaft sein und tagsüber möglichst schnell zu verzehren sein, wenn einmal gerade kein Regen fällt. Allenfalls die Aussicht auf ein Stück Schokolade, einen Schluck Whiskey und ein Lied am Abend hält uns manchmal aufrecht.

So gehen die Tage dahin im Wechsel von äußerster Anstrengung, ruhigen Abenden und immer wiederkehrenden Begegnungen mit den seltsamen Bewohnern dieses seltsamen Landes. Die gleichförmige und doch immer wechselnde Landschaft und das beständig schlechte Wetter tragen ihres bei; unsere Fahrt ist ein ständiges Streiten um die kleinen Siege des Tages: ein heißer Tee, ein schöner Ausblick, ein Sonnenstrahl. Ständig von Felsen umgeben, entdecken wir – notgedrungen – die Vielfalt dieser kargen Umgebung. Mal quälen wir uns Hänge hinauf, die von scharfkantigen, hellgrauen Felsbrocken bedeckt sind, dann wieder glänzt ein schwarzer steinerner Abhang in der Sonne, der von Regen und Wind so glattgeschmirgelt wurde, dass unsere Füße auf dem Boden keinen Halt finden. Jeder noch so zarte Bewuchs wird auf seinen Brennwert hin taxiert, jedes noch so dürre Ästchen aufgeklaubt.

Seltsam ist es, als das Ende der Fahrt so plötzlich heraufdämmert. Gestern noch haben wir in einer zugigen Hütte gefroren, während der Regen gegen die Fenster prasselte. Heute sitzen wir gemütlich in einem Pub in Inverness – stilecht „The Phoenix“ benannt – bei Ale und einem echten Stück Fleisch. Nur unsere Gitarren haben sich nicht mehr erholt…